Das sollten Sie jetzt über Bitcoin und Co. wissen.

Viele Banker halten Bitcoin für ein reines Spekulationsobjekt, andere preisen die Münzen aus dem Internet als „digitales Gold“. Jetzt blasen die Zentralbanken zum Kampf gegen Krypto.
VON DANIEL ECKERT, ANJA ETTEL, HOLGER ZSCHÄPITZ

Die Angst vor steigenden Zinsen wirkt derzeit wie eine Nadel, die in einen Ballon gehalten wird: Aus dem Ballon entweicht „Bewertungsluft“, was sich an den Börsen in fallenden Kursen manifestiert. Doch die Börsenkurse setzen sich nicht nur aus Bewertungsluft zusammen, sondern auch aus Substanz, etwa dem Buchwert von Grundstücken, Maschinen oder Patenten.

Mal überwiegt das eine, mal das andere. Fest steht aber auch: Je größer der Anteil der Zukunftsfantasie zwischenzeitlich war, desto mehr Luft entweicht in einer Korrektur aus den Kursen. So lässt sich erklären, dass Technologie- und Wachstumswerte derzeit besonders viel Dampf ablassen, leben sie doch vor allem von Erwartungen an die Zukunft.

Doch nicht nur Aktien wird gerade eine geringere Bewertung zugestanden, auch Kryptowährungen. Skeptiker unken schon lange, dass Bitcoin & Co. überhaupt keine Substanz innewohnt, dass diese virtuellen Münzen (oder Token) aus dem Internet komplett aus Fantasie bestehen. Da ist nichts außer Bewertungsluft, lautet die Kritik.

Dagegen propagieren die Anhänger von Bitcoin & Co. Kryptowerte nicht nur als Inflationsschutz, sondern als quasi universelle Problemlöser für die Probleme der Zukunft. Für viele Internet-Münzen schlägt jetzt die Stunde der Wahrheit. Seit Jahresanfang hat der Bitcoin – die älteste und mit Abstand wichtigste Kryptowährung – fast ein Viertel an Wert eingebüßt. Gemessen am Allzeithoch von Anfang November 2021 stand der Kurs im laufenden Handel sogar schon 50 Prozent niedriger.

Alle Bitcoins der Welt sind aktuell nur noch 670 Milliarden Dollar wert. In der Spitze lag die Marktkapitalisierung (die sich rechnerisch aus der Zahl der Münzen multipliziert mit dem Kurs ergibt) bei mehr als 1300 Milliarden Dollar. Dabei ist der Bitcoin nicht mal der größte Verlierer im ziemlich unübersichtlichen geworden Krypto-Universum, das auf bis zu 17.000 verschiedene Coins angeschwollen ist. Insgesamt wurde aus den Kryptowährungen seit November 1,5 Billionen Dollar an Bewertungsluft abgelassen.

Das Alleinstellungsmerkmal des Bitcoin sehen die Befürworter darin, dass er kein beliebig vermehrbarer Vermögenswert ist – wie auch Gold –, aber anders als physisches Edelmetall von jedem Computer oder jedem Smartphone per Klick verschickt werden kann. Deswegen wird Bitcoin auch das digitale Gold genannt.

In den vergangenen Jahren hatten sich immer mehr Investoren entschieden, Bitcoin als Wertspeicher zu nutzen – gerade auch vor dem Hintergrund stark steigender Geldmengen. Bitcoin war das erste Beispiel für ein Blockchain-basiertes digitales Zahlungsmittel.

Eingeführt wurde er 2009 von einem Programmierer oder einer Gruppe, der sich den Namen Satoshi Nakamoto gab. Die Blockchain ist eine Art Register, das auf verschiedenen Rechnern (Nodes) geführt wird und elektronische Transfers von Werten auch außerhalb des etablierten Bankensystems erlaubt. Zur Erzeugung von Bitcoins (Mining) mittels komplexen Rechenoperationen wird viel Energie benötigt.       

Die hohe Energieintensität des Netzwerks und die Begrenzung der Bitcoin-Zahl auf maximal 21 Millionen schützt den Bitcoin vor Fälschung und Wertverlust, macht ihn aber auch schwerfällig. So nutzen nur wenige Menschen BTC (so das Kürzel) zum Bezahlen, die meisten horten ihn als „digitales Gold“, um sich vor den Folgen der Geldentwertung zu schützen.

Der Bitcoin ist ein äußerst volatiler Wertspeicher

Das Problem ist nur, dass sich die führende Kryptowährung als äußerst volatiler Wertspeicher herausgestellt hat. Immer wieder kam es zu heftigen Abstürzen von bis zu 92 Prozent. Der sogenannte Unterwasser-Chart, der den Abstand vom jüngsten Allzeithoch anzeigt, offenbart ein faszinierendes Phänomen: Greift man sich einen beliebigen Zeitpunkt in der 13-jährigen der Internet-Münze heraus, liegt der Kurs der digitalen Währung statistisch gesehen rund 50 Prozent unter dem vorher markierten Rekordhoch.

Eine Preisspanne von 5000 Dollar bis 69.000 Dollar innerhalb von 24 Monaten zeigt, wie extrem die Ausschläge sind. Am Dienstagabend wurden an Handelsplätzen wie Coinbase oder Bitcoin.de rund 37.000 Dollar für einen Bitcoin bezahlt.

Die Angabe eines fairen oder inneren Werts beim Bitcoin erscheint extrem schwierig. Manche versuchen es mit einem Stock-to-flow-Modell, das im Rohstoffbereich verwendet wird, doch Prognosen von befriedigender Treffergenauigkeit ließen sich damit bisher nicht erstellen. Allerdings scheint der Bitcoin bestimmten charttechnischen Gesetzmäßigkeiten zu folgen. Die wichtigste Unterstützung in der aktuellen Situation liegt offenbar bei 30.000 Dollar.

Sollte diese Marke nicht halten, gibt es eine weitere Auffangzone bei 27.000 Dollar. Das ist der Preis, zu dem viele Miner, die das Bitcoin-Netzwerk am Laufen halten, gerade noch profitabel arbeiten können. Unterhalb dieser Schwelle übersteigen die Energie- und Hardware-Kosten den Preis und machen es unrentabel, an der Blockchain teilzuhaben.

Ähnlich wie bei Erdöl oder Gold können die Notierungen langfristig nicht unterhalb der Produktionskosten liegen. Was allerdings Marktübertreibungen nicht ausschließt. So war der Ölpreis 2020 sogar einmal für kurze Zeit ins Negative gerutscht: Käufer wurden dafür bezahlt, dass sie den Rohstoff übernahmen. Für den Bitcoin-Preis wird es letztlich davon abhängen, ob sich die digitale Währung wirklich als Wertaufbewahrungsspeicher durchsetzen.

Die anderen Kryptowährungen wie Ether oder Solana werden eher durch ihre Anwendungspotenziale als durch die Wertspeicher-Funktion definiert. Beispielsweise können digitale Kunstwerke auf Basis des Ethereum-Netzwerks fälschungssicher gemacht werden.

Mit der Ethereum-Blockchain lassen sich sogenannte „Smart Contracts“ programmieren, also Zahlungen, die nur bei Erreichen bestimmter Bedingungen ausgelöst werden. So kann sich der Ersteller eines Kunstwerks zum Beispiel das Recht einprogrammieren lassen, bei jedem Weiterverkauf eine kleine Gebühr zu erhalten.

Ähnliches gilt auch für Solana. Die Attraktivität der verschiedenen Kryptowährungen und damit auch ihres Marktpreises hängt davon ab, wie viele Projekte, letztlich Transaktionen, auf der jeweiligen Blockchain umgesetzt werden.

„Spaß-Coins“ erreichten zwischenzeitlich einen beachtlichen Marktwert

Dazu sind in den letzten Jahren auch noch Coins gekommen, die eine andere Funktion erfüllen, nämlich eine Community zu erzeugen: Von manchen als Meme- oder Spaß-Coins bezeichnet, haben Doge oder Shiba Inu zwischenzeitlich einen beachtlichen Marktwert erreicht.

Ihre Bedeutung ist gerade 2021 dadurch gewachsen, dass große Unternehmen sie als Zahlungsmittel für bestimmte Produkte zuließen. Bekanntestes Beispiel ist der Tesla-Shop, wo es bestimmte Fan-Artikel nur gegen Doge zu kaufen gibt. Anders als bei Bitcoin ist die Menge aller Doge nicht nach oben begrenzt, dennoch die Popularität und die wachsende Zahl ihrer Nutzen die Notierungen dieser Coins hoch katapultiert.

„Community Tokens“ könnten in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, da sie nicht zuletzt im Metaverse, aber auch in der wirklichen Welt spezielle Zugehörigkeit und Zugang verbürgen. Ihr Kurs schwankt jedoch noch stärker als der von Investment-Coins wie Bitcoin, da sich schwer vorhersagen lässt, wie sich der Wunsch entwickelt, Teil des Phänomens zu sein. Schon kleine Ereignisse – wie ein Tweet von Tesla-Chef Elon Musk – genügen, um die Notierungen nach oben schießen oder einbrechen zu lassen.

Doch selbst Klassiker wie Bitcoin oder die Nummer zwei, Ethereum, unterliegen nach klassischen Maßstäben starken Schwankungen. Auffällig war, dass sich der Krypto-Kurs seit 2021 oft im Einklang mit hochriskanten Tech-Aktien bewegen.

Das rührt auch daher, dass immer mehr Investmentprodukte auf die großen Kryptos aufgelegt wurden. Durch diese vereinfachte Investierbarkeit kann Geld leichter in den Markt für digitale Münze hineinströmen – aber auch wieder heraus. Zuletzt waren allein in Bitcoin-Indexfonds 28 Milliarden Dollar investiert.

Die Investitionsfreude wird allerdings getrübt durch eine mächtige Gegenbewegung, die in den letzten Jahren entstanden ist: Immer mehr Zentralbanken arbeiten daran, eigene Digitalwährungen auf den Weg zu bringen. Zuletzt hat die Ankündigung der US-Notenbank Federal Reserve, die Einführung eines digitalen Dollar prüfen zu wollen, den Kryptomarkt aufgeschreckt. Die Federal Reserve ist keineswegs die erste, wohl aber die wirkmächtigste Zentralbank, die an einem solchen Projekt arbeitet. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die britische Notenbank haben Ähnliches bereits im vergangenen Jahr vorgestellt. Chinas Notenbank hat sogar schon einen digitalen Yuan in Shanghai und Shenzhen gestartet.

Weltweiter Trendsetter waren allerdings die Bahamas, die 2020 als erstes Land eine Digitalversion des eigenen Geldes eingeführt haben, den sogenannten Sand-Dollar.

Solche digitalen Zentralbankwährungen, kurz CBDCs, sind keineswegs dasselbe wie Kryptowährungen. Man muss sie sich eher wie eine neue – eben digitale – Form von Bargeld vorstellen, das von der jeweils ausgegeben Zentralbank ausgegeben und gesichert wird und die dieselben Funktionen wie das bisherige Geld erfüllen soll: Wertaufbewahrung, Recheneinheit, Transaktionsfunktion. Allerdings ist digitales Zentralbankgeld in einer Hinsicht keine wirkliche Konkurrenz zu Bitcoin & Co. Digitale Euro und Dollar oder Yuan können per Knopfdruck geschaffen und damit beliebig vermehrt werden. Das mindert allerdings die Attraktivität als Wertaufbewahrungsmittel.

Einer Studie von Morgan Stanley zufolge prüfen 86 Prozent aller Notenbanken derzeit, ob sie Digitalversionen ihrer Währungen einführen wollen. Die Währungshüter argumentieren, dass sie auf diese Weise die Vielfalt der Zahlungsmittel vergrößern und dem Wunsch der Bürger nach einer Digitalisierung des Geldes nachkommen wollen. Zugleich geht es allerdings eben auch darum, die Kontrolle über den Massenzahlungsverkehr zu behalten. Denn der Siegeszug der Kryptowährungen birgt aus Sicht der Notenbanker die Gefahr, dass dieser sensible Bereich irgendwann von einigen wenigen Akteuren dominiert werden könnte, die sich im ungünstigen Fall außerhalb der Kontrolle der eigenen heimischen Behörden befinden.

„Kryptowährungen sind nicht anderes als eine Wette, ein spekulatives Hochrisikoabkommen ohne unterstützendes Fundament, weshalb ihr Wert wild schwankt”, so formuliert es der für den Zahlungsverkehr zuständige EZB-Direktor Fabio Panetta. Trotz der gewaltigen Summen, die durch die Kryptos bewegt würden, gebe es keinen Beleg dafür, dass diese wirtschaftlich oder sozial sinnvolle Funktionen erfüllten. Hingegen würde der digitale Euro „Bargeld ergänzen, nicht aber ersetzen”, wirbt Panetta für das Projekt.

Strategen und Investoren sind weniger skeptisch. Viele halten Kryptos für eine gute Möglichkeit, ein Investment-Depot zusätzlich zu diversifizieren. „Wir halten Kryptowährungen weiterhin für eine Anlageklasse, die ein Portfolio mit fünf bis zehn Prozent je nach Risikoneigung positiv ergänzt“, sagt Thomas Neumann, Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Bestadvice in Irschenberg. Wichtig hierbei sei ein langfristiger Anlagehorizont, sodass Kursrückgänge wie jetzt nichts ausmachen. Er sieht jetzt sogar eher eine Chance, wie in der Vergangenheit auch zur Reoder Neuadjustierung. „Klassische Währungen sind irgendwann immer zusammengebrochen. Kryptowährungen haben hier gegenüber eine sehr vorteilhafte Eigenschaft – Verknappung. Aus diesem Grund war und ist auch Gold immer wertbeständig geblieben“, findet Neumann. Auch Sören Hettler, Analyst bei DZ Bank, will die Kryptowährungen nicht abschreiben. „Nicht von der Hand zu weisen ist zwar, dass Kryptowährungen angesichts des drastischen Kurseinbruchs und des zu beobachtenden Gleichlaufs mit bedeutenden Aktienindizes derzeit weder als Schutz vor Inflation noch hinsichtlich möglicher Hedging-Motive besonders gut abschneiden“, sagt er. Allerdings durchlebte der Bitcoin in den vergangenen Jahren mehrfach drastische Preisrücksetzer, ohne deswegen von der Bildfläche zu verschwinden. Die Blockchain-Technologie bleibe weiterhin ein Thema mit Zukunft. Zu sicher sollten sich daher die Skeptiker von Bitcoin & Co. nicht fühlen: „Ein Comeback ist jederzeit möglich.“ Die kurze, aber wechselhafte Historie der Kryptowerte zeigt, dass eine überraschende Rückkehr wahrscheinlicher ist als das Abtauchen in der Bedeutungslosigkeit, das den Coins schon oft vorhergesagt wurde.

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Ausgabe vom 26. Januar 2022

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Bitcoin
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Das sollten Sie jetzt über Bitcoin und Co. wissen

Mittwoch, 26.01.2022

Quelle: welt.de

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Thomas Neumann zählt seit über 20 Jahren zu den Top Vermögensverwaltern im deutschsprachigen Raum. Sein Know-How teilt der Experte in mittlerweile über 500 Presseartikel und TV Interviews.